Man fährt elektrisch!

125 Jahre elektrische Straßenbahn in Frankfurt am Main und Offenbach: Erstmals in Deutschland fuhr eine regelmäßige elektrische Straßenbahn. Text: Alexander Piesenecker

 
Wer vor 125 Jahren auf der Straße zwischen Frankfurt am Main und Offenbach unterwegs war, dem fielen mit Sicherheit die Masten an der Seite auf,  welche eine eigenartige doppelte Röhrenleitung trugen. Wenn dem Betrachter dann noch eines der grün lackierten Fahrzeuge begegnete, dann war das Erstaunen groß. Der Wagen bewegte sich ohne vorgespannte Pferde oder Dampflokomotive! So alltäglich eine elektrisch betriebene Straßenbahn heute ist, im Jahr 1884 stellte sie eine Sensation dar. Die Geschichte dieser Bahn ist untrennbar verbunden mit Werner von Siemens. Der geniale Forscher und erfolgreiche Unternehmer hatte 1881 in Lichterfelde bei Berlin die erste elektrische Straßenbahn der Welt eröffnet. Das Manko dieser Bahn war allerdings die Stromversorgung über beide Schienen. Siemens experimentierte daher mit verschiedenen Oberleitungssystemen. Er löste das Problem schließlich mit der so genannten Schlitzrohrfahrleitung. Sie bestand aus zwei auf der Unterseite längs aufgeschlitzten Rohre, in denen je ein metallener Kontaktschlitten gleiten konnte. Diese Schlitzrohre wurden an ca. fünf Meter hohen Masten aufgehängt und gegeneinander isoliert. Die beiden Kontaktschlitten zur Stromzuführung waren über ein Kabel mit dem Dach des Wagens befestigt. Mit dieser Konstruktion konnten die Schienen stromlos bleiben und freizügig im allgemeinen Straßenraum verlegt werden. Die erste Bahn, die diese Art der Stromversorgung nutzte, fuhr seit 1883 südlich von Wien von Mödling nach Hinterbrühl.

Eine Verbindung ohne Ruß und Qualm

Im Rhein-Main-Gebiet existierten um 1884 zwischen Frankfurt am Main und Offenbach zwei Bahnlinien. Seit 1848 pendelte die Frankfurt-Offenbacher Eisenbahn (im Volksmund auch »Lokalbahn« oder »Ebbelwei-Express« genannt) auf fast schnurgerader Strecke zwischen dem Lokalbahnhof in Frankfurt und der Kreuzung Berliner-/Kaiserstraße in Offenbach. Dazu kam die überregionale Frankfurt-Bebraer Eisenbahn ab 1873. Beide Bahnen führten nördlich an Oberrad vorbei und hatten dort einen Bahnhof abseits der Bebauung. Die durch die zunehmende Industrialisierung rasant steigende Bevölkerungszahl in Frankfurt und Offenbach ließ den Bedarf an einer weiteren Verbindung schnell wachsen. Eine 1872 vorgeschlagene Pferdebahnverbindung wurde allerdings ebenso ­ab­gelehnt wie Anfang 1882 eine Dampfstraßenbahn. Die befürchtete Verschmutzung der Innenstadt Frankfurts durch Ruß und Qualm der Lokomotiven war offensichtlich mit ausschlaggebend für die ablehnende Haltung.

Hier trat nun ein Konsortium aus Offenbach auf den Plan. Bankier Weymann, Kom­merzienrat Weintraut und das Bankhaus Merzbach wollten die Verbindung nach Frankfurt via Oberrad realisieren. Es ist anzunehmen, dass sie von einer der elektrischen Versuchsbahnen erfahren hatten und mit Siemens & Halske Kontakt aufnahmen. Siemens erkannte die Gelegenheit, eine weitere Referenzstrecke für eine elektrische Straßenbahn zu erbauen, und unterstützte die Planungen für dieses kühne Projekt.

Mit dem Konzept für eine »Elektrische Straßenbahn zwischen den Endpunkten Deutschherrn-Quai nächst der Alten Brücke und dem Mathildenplatz in Offenbach« trat das Konsortium im Juni 1882 auf die Städte Frankfurt am Main und Offenbach zu, um eine Konzession zu erhalten. Man muss sich die Situation vergegenwärtigen: Zu diesem Zeitpunkt gab es keine vergleichbare Bahn, die Erfahrungen beschränkten sich nur auf wenige zeitlich und räumlich beschränkte Versuchsbahnen. Nun sollte auf einer 6,7 Kilometer langen Strecke ein Dauerbetrieb eingerichtet werden; das war technisches Neuland für alle Beteiligten. Den Offenbacher Geschäftsleuten gebührt für diese mutige Tat auch heute noch Hochachtung und Respekt.

Auch die Verantwortlichen der beiden Städte, die 1883 die Konzession auf eine Dauer von 25 Jahren erteilten, zeigten große Weitsicht. Zu den Bedingungen, die das Konsortium erfüllen musste, um die Konzession zu erhalten, gehörte unter anderem »ein im Winter beheizbares Wartelokal« an den Endstationen. Auch die Masten, die die Schlitzrohrleitungen trugen, waren»aus schön facioniertem Eisen und Holz nach Wahl der städtischen Baubehörde« zu errichten.

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