Mobilitätsvision 2020

In der belgischen ­Region Flandern plant der ÖPNV-Betreiber DeLijn eine nahverkehrstechnische Großoffensive: Bis 2020 soll auch das Schienennetz in Antwerpen, Gent und an der Küste weiter ausgebaut werden. Von Andreas Mausolf
 
Das jüngste Niveau des »Belgischen Problems«, gerne verniedlichend als »Sprachenstreit« bezeichnet, kommt deutlich zum Ausdruck im Ergebnis der  Parlamentswahlen vom Mai 2010, das die Kluft zwischen Flandern und der Wallonie noch deutlicher hervortreten ließ als bisher – und bis heute keine neue Regierung ermöglichte!
Alles, was seither unternommen wurde, hat die Lage nicht nachhaltig entspannt. Diese für Außenstehende in ihrer Vielschichtigkeit nur schwer nachzuvollziehende Konfrontation täuscht oft darüber hinweg, dass bestimmte Problemsituationen – wie z.B. der Belastungsgrad durch den motorisierten Individualverkehr – in beiden Landesteilen zu den gleichen beklagten Konsequenzen führen. Im Grundsatz müssten deshalb auch landesweite Strategien entwickelt werden, um Abhilfe zu schaffen. Doch der »belgische Sonderweg« sieht anders aus.
So geht das flandernweit operierende Verkehrsunternehmen DeLijn andere Wege als die für die Wallonie zuständige »Transport en commun« (TEC). DeLijn will mit einem umfassenden, konzeptionellen Ansatz eine Verkehrsinfrastruktur schaffen, die mit aufeinander abgestimmten und optimierten Verkehrsträgern ein attraktives Gegengewicht zur Pkw-Nutzung nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch zwischen ihnen und im überwiegend ländlich geprägten Raum schafft. Dem Schienenverkehr kommt hierbei eine besondere Funktion zu.

Die »Mobilitätsvision 2020«
74 neue Linien – davon 33 schienengebunden: DeLijn sagt mit der im April 2009 vorgestellten »Mobilitätsvision 2020« der ­ausufernden Nutzung des Pkw den Kampf an: Bestes Mittel dazu sind Ausbau und Vernetzung des ÖPNV innerhalb und zwischen den einzelnen Provinzen. Nach derzeitigen Prognosen soll das Straßenverkehrsaufkommen im nächsten Jahrzehnt um 35 Prozent zunehmen. Dies ist alarmierend in Anbetracht heutiger Verlustzeiten durch Staus in einer Größenordnung von 22 Millionen Stunden (2008), was mindestens zwei Prozent des  Bruttoinlandsproduktes entspreche. Das kann man sich v.a. in Regionen nicht erlauben, die vom Tourismus leben und dazu gehört ein Großteil Flanderns. Investitionen in den Straßenbau müssten deshalb unbedingt auf das niedrigst mögliche Niveau abgesenkt werden. Die zunehmend zusammenwachsenden Siedlungs- und Wirtschaftsregionen benötigen dringend eine umfassende öffentliche Verkehrsinfrastruktur, um weiteres qualitatives Wachstum zu ermöglichen.
Um dem drohenden Verkehrsinfarkt entgegenzuwirken, hat DeLijn unter Hin­zuziehung von Fahrgastbefragungen gemeinsam mit drei Planungsbüros auf verkehrswissenschaftlicher Grundlage ein Konzept erarbeitet, das sich derzeit in der Abstimmung befindet. Von der Umsetzung der Planungen erwartet DeLijn eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen gegenüber dem heutigen Stand. Und das Klima werde geschützt sowie  »grüne Jobs« geschaffen.
So schüfen nach Angaben der Europäischen Kommission Investitionen in den ÖPNV pro Million Euro 30 neue Arbeitsplätze. Generell führe die Umsetzung der »Mobilitätsvision 2020« deutlich zu nutzbringender Entwicklung, auch wenn die derzeit in den ÖPNV investierten Mittel mindestens verdoppelt werden müssen.
Das Papier sei ein Leitfaden (»Dynamisches Dokument«) für einen intensiven und an Kriterien der Nachhaltigkeit orientierten Dialog zwischen DeLijn und allen involvierten Partnern. Es schließt an Maßnahmen an, die im Rahmen bestehender Verkehrsplanungen (»Pegasus-Plan« u.a. für die Regionen Antwerpen und Gent, »Spartacus-Plan« für die Region Limburg und »Neptun-Plan« für West-Vlaanderen sowie die Konzeption »GEN« für den Großraum Brüssel) bereits weitestgehend geplant und finanziert sind, aber auch an ­solche, die sich noch in anderen Entwicklungsstufen befinden. Das Konzept bezieht erstmals frühzeitig Projekte ein, deren Realisierung noch nicht absehbar ist. Es ist eine deutliche Absichtserklärung, nicht bei einigen spektakulären Projekten zu bleiben, sondern eine flächendeckende Infrastruktur nachdrücklich anzustreben.
Wenn es wie vorgesehen gelingt, die Vision schrittweise in die Realität umzusetzen, werden nach über einem halben Jahrhundert an vielen Orten Trambahnen und »Lighttrains« verkehren, an denen die klassische Überlandtram schon einmal zuhause war: Dem großen Kahlschlag bei der SNCV/ NMVB der 1960er- und 1970er-Jahre soll nun ein ausgedehntes Programm für ein strukturiertes Netz unterschiedlicher Formen von Schienenverkehrsmitteln folgen. Die unterschiedlichen ­Angebote

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