Vier Jubiläen in einem Jahr

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48 Pferde normannischer und ungarischer Provenienz standen zur Bespannung der rund 50 zweiachsigen Wagen zur Verfügung. Obwohl Otlet bis auf die Strecke nach Nymphenburg den Trambahnbau vertragsgemäß ausführte, überwarfen sich er und die Münchner. Antifranzösische Ressentiments – die meisten Aktionäre von Otlets Tramway-Gesellschaft waren französische Anleger – mögen tiefere Ursachen des Zerwürfnisses gewesen sein. 1882 gründete die Stadt die Münchner Trambahn-Aktiengesellschaft (MTAG), die Netz und Betrieb bis Ende 1906 führte. In diese Zeit fielen stürmische Entwicklungen. Als Erstes musste sie in den Jahren 1882/83 ein umfangreiches Streckenerweiterungsprogramm umsetzen, das die vornehm-bürgerliche Maxvorstadt mit drei Linien durchzog und kleinbürgerlich-proletarisch geprägte Stadtviertel wie die Au und Giesing mit Stichlinien erschloss.

Eine Dampftram nach ­Nymphenburg
Nymphenburg, damals noch weit vor den Toren Münchens gelegen, hatte sich mit Schlosspark, Hirschgarten, Schlossmühlbad und etlichen Lokalitäten zu einem begehrten Ausflugsziel herausgemausert. Da eine Pferdebahn dem Ansturm der Entspannung und Vergnügungen suchenden Stadtbevölkerung nicht gewachsen war, legte die MTAG 1883 eine Dampftrambahn vom Stiglmaierplatz nach Nymphenburg an, deren Endhaltestelle sich in der heutigen Notburgastraße befand. 1889 errichtete dort ein findiger Unternehmer den »Volksgarten«, damals Deutschlands größter Vergnügungspark.

An schönen Sommerwochenenden waren die dann viertelstündlich verkehrenden Züge den Massen an Fahrgästen kaum gewachsen, vor der Abfahrt in Nymphenburg müssen sich mitunter chaotische Szenen abgespielt haben. Die Dampftrambahn bot auch den rund 7.000 Einwohnern der ­Gemeinde Neuhausen eine schnelle Verbindung in die Stadt. An dieser Stelle sei ­erwähnt, dass die öffentlichen Nahverkehrsmittel Münchens, Pferde- und Dampf­trambahn wie auch die Eisenbahn bis vor dem Ersten Weltkrieg den größeren Teil ihrer Einnahmen mit Freizeitverkehr und nicht mit Berufs- bzw. Alltagsverkehr verdient haben, ein Beleg dafür sind die an Sonntagen höheren Fahrgastzahlen. Öffentlicher Personenverkehr war in Bayerns Hauptstadt bis hin zum Ersten Weltkrieg ein bürgerliches Verkehrsmittel, Arbeitern waren die Fahrpreise zu hoch.

Die Elektrische
Eine Ausflugsbahn ebnete denn auch den Weg ins elektrische Nahverkehrszeitalter. Am Nordrand Schwabings lag ein gut frequentiertes Freibad. Um dessen Attraktivität zu steigern, errichtete dessen Besitzer, der Ingenieur Ungerer, 1886 eine Bahn ab der Endstation der Pferdebahn in Schwabing dorthin. Ungerer wandte dabei, wie sieben Jahre zuvor von Werner von Siemens demonstriert, den Elektromotor als Antrieb für seine zweiachsigen Triebwagen an, die aus einer Schiene den Gleichstrom entnahmen. Die dritte elektrische Bahn Deutschlands verkehrte vor den Toren Münchens, sieben Jahre lang – ohne Beanstandungen. Um 1890 wurde absehbar, dass die tierische Antriebskraft in den rasant wachsenden Städten den Verkehrsbedürfnissen bald nicht mehr gewachsen war – und dass die Dampflok aufgrund ihrer Emissionen im innerstädtischen Verkehr keine wirkliche Alternative bot. So entschlossen sich Münchens Stadtväter 1894 zur »Elektrifizierung« der Trambahn. 1895 fuhr die erste »Elektrische« und zwar von der Station Färbergraben in der Altstadt zum Isartalbahnhof, fünf Jahre später war der Strukturwandel abgeschlossen.

In städtischer Hand
1907 übernahm die Stadt – den Nahverkehr als öffentliche Aufgabe begreifend – das ­Unternehmen, das fortan »Städtische Straßenbahnen« hieß. Am Rand der Stadt entstandene Großeinrichtungen wie Krankenhäuser, Friedhöfe, die Großmarkthalle und der Tierpark erhielten Tram-Anbindungen, ebenso auch die ärmeren Viertel wie Untergiesing und Obersendling. 1908 feierten die Bürger der Nachbarstadt Pasing den Anschluss ans Straßenbahnnetz Münchens.

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