Modernisierung á la Kalkutta: Alte Tram im neuen Kleid

Indiens derzeit einziger Straßenbahnbetrieb in der bengalischen Metropole Kolkata (Kalkutta) modernisiert seit 2008 seine alten Sechsachser. Allerdings steckt unter der modernen Schale weiterhin antiquierte Technik.

 
In der Hauptstadt des indischen Bundes­staates Westbengalen, 2001 offiziell von »Calcutta« in »Kolkata« (deutsch:»Kalkutta«) umbenannt, herrschen Gegensätze, wie sie größer nicht sein könnten.

Im vergangenen Jahrzehnt verstärkte sich dieser Eindruck durch die Bildung einer vegleichsweise wohlhabenden Mittelschicht noch mehr, wobei aber strikt vermieden wird, Arm und Reich miteinander zu vermischen. So entstand in den ver­gangenen Jahren im Westen der Stadt das noble Wohn- und Geschäfts­viertel »Salt Lake City«, in dem sich das öffentliche Leben kaum von jenem in Mittel- und Westeuropa unterscheidet.

Ganz anders präsentiert sich die Situation in den teilweise recht engen Straßen des Stadtzentrums mit seinem unbeschreiblichen Verkehrs­gewühl.

Hier gewinnt man auch den Eindruck, dass mehr Menschen auf der Straße leben, als in Häusern und so falsch dürfte man mit dieser Einschätzung gar nicht liegen. Im unmittelbaren Stadtgebiet leben heute rund fünf Millionen Menschen und das Ballungsgebiet hat mehr als 15 Millionen Einwohner.

Grüne Stadt unter Dunstglocke

Wegen der zentrumsnahen, riesigen Grünläche »Maidan« bezeichnen die Stadtväter Kalkutta auch gerne als »Grüne Stadt«, obwohl wegen der extremen Luftverschmutzung oft nur ein geringer Prozentsatz des Sonnenlichtes durch den verschleierten Himmel dringt. Auf den Straßen kann man einen Mix aus japanischen und koreanischen Kleinwagen beobachten, die den seit Jahrzehnten unverändert gebauten »Ambassador« aus heimischer Produktion im Bereich der Privat-PKW bereits fast vollständig verdrängen konnten. Die riesige Flotte der gelben Taxis und weißen Regierungsfahrzeuge besteht aber immer noch nahezu vollständig aus den extrem umweltschädlichen Gefährten. Auch bei der Straßenbahn lässt sich die aktuelle Situation durch Gegensätze beschreiben: In der allgemeinen Meinung überwiegt zwar die Einschätzung, dass das System völlig veraltet ist und den ausufernden Individualverkehr behindert, die langsam aufkeimende Umweltbewegung lässt Politiker aber auch immer öfter darauf hinweisen, dass Kalkutta die einzige Stadt Indiens ist, die eine umweltfreundliche Straßenbahn betreibt.

Beide Haltungen spiegeln sich auch in den Entwicklungen der vergangenen Jahre wider:

So fielen einerseits Straßenbahnstrecken der Errichtung von »Flyover« -Konstruk- tionen und Schnellstraßen zum Opfer (Diamond Harbour Road, Ashutosh Chowdhury Road); andererseits kam es auf weniger frequentierten Straßen zur grundlegenden Sanierung der Infrastruktur. Allerdings kann die Sanierung eines wenige Kilometer langen Streckenstückes schon mehrere Jahre in Anspruch nehmen, so dass in der Fachpresse öfters über vermeintlich eingestellte Strecken (z. B. Rabindra Sarani, Kidderpore Road) zu lesen war. Zur Zeit leidet die Qualität des Netzes aber auch durch den Bau eines neuen Systems von Abwasserkanälen, die auch in etlichen Schienenstraßen wie der Lenin Sarani, der A.P.C. Road oder der Maniktala Main Road verlegt werden. Hier haben die eigentlichen Bauarbeiten zwar noch nicht begonnen, die riesigen Betonteile mit bis zu drei Metern Durchmesser wurden aber – zur Schonung des Individualverkehrs – mitten auf dem Gleiskörper bereitgelegt. Das Südnetz liegt wiederum wegen geplanter Sanierungsarbeiten seit 200 7samt der Depots Kalighat und Tollygunge brach, ohne dass man Anfang 2010 Bauarbeiten jedweder Art beobachten hätte können.

Variable Linienführung –niedrige Nachfrage

Aus der Tatsache, dass das Straßenbahnnetz nur sehr selektiv benutzbar ist und die befahrbaren Abschnitte und Linienführungen öfters wechseln, resultiert auch der geringe Besetzungsgrad der meisten Bahnen, denn viele Fahrgäste sind bereits auf die zahllosen parallel fahrenden Busse oder die billigen Auto-Rikschas ausgewichen. Gut besetzt präsentierten sich im Januar 2010 lediglich die Linien 20, 26 und 36, wobei letztere Linie allerdings nur in 15-Minuten-Intervallen verkehrte. Zum Vergleich: Im Jahre 1998 waren zwischen Es-planade und der T-Kreuzung in Kidder-pore fünf Linien in dichten Intervallen unterwegs und auch diese konnten die wartenden Menschenmassen kaum abtransportieren.

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