Mainz: Mit Pferden, Dampf und Strom

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Erste Vorgespräche ergaben auch die prinzipielle Bereitschaft der Bundesregie­rung zur Finanzierung dieser Pla­nungen. Leider wurde das Projekt jedoch Gegenstand des Kommunalwahlkampfs von 1994. Die CDU und ihr OB-Kandidat mach­ten massiv Front gegen die Ausbaupläne. Die CDU musste bei der Wahl zwar empfindliche Verluste hinnehmen und das Oberbürgermeisteramt der SPD überlassen, aber sie hatte ihr Ziel erreicht, das Neubaustreckenprojekt zu Fall zu bringen.

Bei den Kommunalwahlen ergab sich zudem ein höchst problematisches Patt zwischen CDU und FDP auf der einen Seite und SPD und Grünen auf der anderen. Zünglein an der Waage waren die beiden Stadtverordneten der Republikaner. CDU und FDP brachten schon kurz nach der Wahl einen Antrag auf Stilllegung der Straßenbahn ein. Das Abstimmungsverhalten der beiden Rechten war vollkommen ungewiss. Am 17. August 1994 votierte der Mainzer Stadtrat mit der denkbar knapps­ten Mehrheit von 31:30 Stimmen für den Erhalt der Straßenbahn und machte gleichzeitig den Weg frei für die Erneuerung des Wagenparks. Seitdem herrscht in Mainz ein überparteilicher Grundkonsens zum Erhalt des Status quo, also keine Stilllegungen, aber auch keine Netzerweiterungen.

Am 7. November 1997 wurde jedoch gleich doppelt von dieser Linie abgewichen: Gegen 13 Uhr wurde das Hechtsheimer Ausbauprojekt mit der Inbetriebnahme der 400 Meter langen Neubaustrecke vom Dornsheimer Weg zum Bürgerhaus feierlich eröffnet. Mit Betriebsschluss des gleichen Tages wurde aber auch die unter massivem Fahrgastschwund leidenden Strecke durch das alte Industriegebiet Ingelheimer Aue stillgelegt.

Neue Liniennummern

In der Folgezeit wurde intensiv an der Optimierung des Bestandsnetzes gear­bei­tet: Am 18. Oktober 1999 wurde am Hauptbahnhof die Verbindungskurve von der Bretzenheimer zur Hechtsheimer Strecke in Betrieb genommen und die Linie 8 provisorisch bis zum Gautor geführt. Am 28. Mai 2000 wurden die Mainzer Straßen­bahnlinien umnummeriert und das Ver­kehrs­angebot nach Hechtsheim durch die Führung aller drei Linien zu den beiden dortigen Endstellen verbessert. Jetzt verkehrten:
• Linie 50: Finthen/Römerquelle – Hechtsheim/Bürgerhaus
• Linie 51: Finthen/Poststraße – Hechtsheim/Bürgerhaus
• Linie 52: Bretzenheim – Hechtsheim/Am Schinnergraben

2003 unternahm die drei Jahre zuvor neu gegründete Stadtwerketochter MVG (Mainzer Verkehrsgesellschaft mbH) einen Vorstoß zur Stilllegung der Mainzer Straßenbahn. Das kleine Netz sei nicht wirtschaftlich zu betreiben. Der Stadtrat wies dieses Ansinnen jedoch einstimmig zurück und beschloss stattdessen weitere Infra­struktursanierungsmaßnahmen: Noch im gleichen Jahr wurde das eingleisige Endstück der Bretzenheimer Strecke ­grund­­legend saniert. 2004 wurde die Gleis­verschlingung in der steilen Gaustraße besei­tigt und das so genannte Nadelöhr zweigleisig aus­gebaut.

Zweigleisig nach Finthen

Zwischen 2006 und 2008 nutzte man eine durch den Autobahnbau in Hechtsheim bedingte längerfristige Sperrung der Strecke zum Schinnergraben und Erneuerung der Oberleitungsanlagen und zur Durchar­beitung des Unterbaus. 2007 wurde schließlich das eingleisige Streckenstück von der Gemarkungsgrenze zur Poststraße in Finthen zweigleisig ausgebaut.

Jede Streckensanierung bedeutet ein Stück Bestandssicherung für die Mainzer Straßenbahn. Jeder investierte Euro müsste im Falle einer Stilllegung des Straßen­bahnbetriebs zurückgezahlt werden. Jenseits von solchen Überlegungen sind die Zukunftsperspektiven aber sehr beschei­den: Seit den gescheiterten Ausbauplänen aus den frühen 1990er Jahren wurde nicht mehr über substantielle Netzerweiterungen diskutiert. Dabei sind viele einwohnerstarke Stadtteile wie Lerchenberg, Mom­bach, Neustadt oder Weisenau sowie die eigentliche Innenstadt, die (Campus-) Universität und die Unikliniken nicht an das Straßenbahnnetz angeschlossen und würde ein Ausbau die Wirtschaftlichkeit des ÖPNV spürbar verbessern, doch im Stadtrat herrscht der Grundkonsens »Die Straßenbahn gehört zu Mainz wie der Dom, aber alles muss beim Alten bleiben« und die MVG-Führung ist eher straßenbahn­skeptisch.   

Von Bernhard Martin

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siehe Bildunterschrift
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