Hamburg: Stationen einer Stilllegung

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Als diese Pläne in der Fachzeitschrift Verkehr + Technik (Heft 10/1955) vorgestellt wurden, gab HHA-Vorstand Lademann (ein angesehener Fachmann und damals immerhin Präsident des Verbandes Öffentlicher Verkehrsunternehmen) seine abweichende Einschätzung ebenfalls zu ­Protokoll: die U-Bahnpläne seien ein »Ge­schenk an den Individualverkehr«. Die teuren Tunnelbauten seien an vielen Stellen nicht gerechtfertigt, weil die Verkehrsnachfrage mit den Straßenbahn-Großraumzügen völlig ausreichend bedient werden könnte, wenn diese eben nicht durch den Autoverkehr behindert worden wären. Damals fragte niemand nach. Die hohen Investitionen erschienen dadurch gerechtfertigt, dass man ein weiteres (starkes) Anwachsen der Bevölkerung und über Jahrzehnte identische Verkehrsströme voraussetzte. Dies traf aber nicht ein. 

Die Rechnung geht nicht auf

Es galt als ausgemacht, dass die neuen Stadtteile Wandsbek und Altona zuerst an die U-Bahn angeschlossen werden sollten. Doch die HHA untergrub alsbald ihre eigene Aussage, die Straßenbahn könne nur durch U-Bahnen ersetzt werden: Mit einer einzigen U-Bahnstrecke sollte die Straßenbahn recht großzügig in breiten Korri­doren ersetzt werden. Schon während des Baus der Wandsbeker U-Bahn sah je­dermann, dass der Bus-Ersatzverkehr doch ganz leidlich funktionierte. Auch die 1959 bzw. 1961 stillgelegte Straßenbahn durch die Große Bergstraße in Altona wurde nie durch eine U-Bahn ersetzt.

Daraus ergab sich alsbald eine andere Dynamik, denn Hamburg konnte sich diese großen Pläne (damals ohne Bundeszu­schüsse!) eigentlich nie leisten. Folglich fiel das Bautempo wesentlich langsamer aus, als Politik und Autolobby die Straßenbahn gern verschwinden gesehen hätten. Also wuchs der Druck, bei jeder sich bietenden Gelegenheit (z.B. Straßenausbau) Straßen­bahnstrecken stillzulegen. Und nie­mand protestierte angesichts immer nebulöserer Verweise auf irgendwann einmal geplante U-Bahnstrecken. Immer mehr Fahrgäste mussten nun auf Busse umsteigen, die sie zu einer U-Bahn-Station, aber nicht direkt in die Innenstadt brachten. Dieser sogenannte »gebrochene Verkehr« machte für viele Fahrgäste die Fahrzeiten eher länger, aber sicher nicht kürzer. 

Hamburg konnte sich bis zum Abbruch des innerstädtischen U-Bahnbaus gerade den Bau von einer Halbmesserlinie und einer Durchmesserlinie leisten. Ganze 22 Ki­lometer U-Bahn-Neubaustrecke (und eine neue S-Bahnstrecke) »ersetzten« also das einst 230 Kilometer lange Straßen­bahnnetz. In einer Auto-mobil den­ken­den Stadt fiel das niemandem auf. Und wenn der (1965 gegründete) Verkehrsverbund seinerzeit darauf verwies, dass Hamburg nach New York und London das größte tariflich zusammenhängende Bahnnetz hätte – man zählte dabei die normalen Nahverkehrszüge der Bundesbahn einfach mit – dann war doch wohl alles in bester Ordnung. 

Für den Stadtstaat Hamburg war der U-Bahnbau ein finanzieller Kraftakt ohne Gleichen gewesen. Bleibt die Frage: Wurde denn wenigstens das Ziel erreicht, durch ein attraktives Verkehrsmittel die Abwanderung der Fahrgäste auf das Auto zu verringern? Dazu eine interessante Zahl: 1955 zählt man auf einem 68 Kilometer langen U-Bahnnetz 154 Millionen Fahrgäste. Aktuell zählt die U-Bahn auf einem nunmehr 101 Kilometer langen Streckennetz 180 Mil­lionen Fahrgäste. Die letzte Straßenbahnlinie aber wurde 1978 eingestellt.

Text: Frank Muth

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siehe Bildunterschrift
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