Haben die Kleinbetriebe im Osten eine Zukunft?

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Selbst eine Pferdebahn ist als Touristenbahn wiedererstanden: 1926 war die Anlage in der sächsischen Kleinstadt Döbeln eingestellt worden. Seit 2007 fährt sie wieder an bestimmten Fahrtagen durch die Innenstadt. Heutige Farbbilder sind von alten Schwarz-Weiß-Postkarten kaum zu unterscheiden. In den ostdeutschen Bundesländern hat ein ­gutes Dutzend Trambetriebe in Klein- und Mittelstädten überlebt, hingegen findet sich in den alten Ländern kein derartiger Betrieb mehr.

Rentabel ab 100.000 Einwohnern
Bei Verkehrsplanern gilt allgemein als Faustregel, dass sich ein Straßenbahnbetrieb erst ab etwa 100.000 Einwohner rechnet. Natürlich müssen im konkreten Einzelfall weitere Faktoren angesprochen und beurteilt werden. So ist z.B. zu fragen, ob die betreffende Stadt durch Pendleraufkommen mit Nachbarstädten verknüpft ist. Auch muss die Struktur der lokalen Verkehrsströme untersucht werden. So konnte die letzte Straßenbahnlinie 1 in Ulm (122.800 Einwohner in 2010) bis heute überleben, weil ein großer Teil der Verkehrsleistungen der Stadtwerke von ihr abgedeckt wurden. 2009 wurde sie nach Böfingen verlängert; vor kurzem ermittelte eine Standardisierte Bewertung einen über 1,0 liegenden Nutzen-Kosten-Faktor für eine projektierte zweite Linie (Kuhberg – Wissenschaftsstadt). In zwei Etappen soll die neue Linie 2 Ende 2016 bzw. Ende 2018 in Betrieb gehen.

Ungeachtet der jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort lässt die 100.000-Einwohner-Faustregel jedoch vermuten, dass im Westen Deutschlands in den kommenden Jahren neue Systeme entstehen, hingegen im Osten einige Betriebe gefährdet sein werden. In der Tat bestehen Neubaupläne im Westen und Stilllegungsvorhaben im Osten. Gegenwärtig untersuchen Aachen, Erlangen und Kiel die Neuanlage von Straßenbahnen, während in Cottbus und Halberstadt die Zukunft der Tram zur Diskussion gestellt wurde.

Nicht nur umweltfreundlich
Umweltgesichtspunkte spielen heute eine größere Rolle als früher. Die immer deutlicher spürbaren Folgen des Klimawandels führen zu verstärktem politischem Handlungsdruck. Ziele sind die Abnahme des Pkw-Verkehrs in den Städten und die deutliche Verringerung des CO2-Ausstoßes. Fossile Brennstoffe werden zudem knapper und damit teurer. Allgemein wird sich die Nachfrage nach umweltfreundlichen Verkehrsmitteln erhöhen.

Die Straßenbahn ist hier im Vorteil: Als »Null-Emissions-Verkehrssystem« produziert sie vor Ort keine Schadstoffe, und ihre elektrische Antriebsenergie kann umweltfreundlich erzeugt werden. In Städten wie Würzburg oder Darmstadt fährt die Straßenbahn bereits seit einigen Jahren klimaneutral, da der Fahrstrom ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammt. Elektrische Verkehrsmittel zeichnen sich auch durch eine besonders hohe Energieeffizienz aus. Der Wirkungsgrad eines Dieselmotors liegt bei bis zu 45 Prozent, derjenige eines Elektromotors zwischen 60 und 98 Prozent. Im Verglich mit elektrisch betriebenen Omnibussen schneidet die Tram auf stark belasteten Strecken besser ab: Aufgrund ihrer höheren Beförderungskapazität weist sie einen niedrigeren Energieverbrauch pro Fahrgast auf.

Demografischer Wandel
Problematisch im Osten ist freilich die prognostizierte demografische Entwicklung. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Bevölkerung in Deutschland trotz höherer Lebenserwartung als früher und einer angenommenen jährlichen Zuwanderung von 200.000 Menschen bis 2050 um etwa 10 Mio. Einwohner abnehmen wird. Ebenso dramatisch sind die Binnenbewegungen.

Erwartet wird, dass bis 2020 über 57 Mio. Menschen ihren Wohnsitz innerhalb Deutschlands verlagern werden. Grob gesagt, wird der Süden Gewinner und der ­Osten Verlierer sein.

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