Der Ärger mit den ­Hochbahnsteigen

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Ob sich die Einführung eines Niederflurbetriebs auf der Linie 10 (und ggf. auch auf der verkehrlich deutlich weniger relevanten Linie 17) lohnt, beantwortete ein von der üstra in Auftrag gegebenes und von verschiedenen Seiten kritisiertes Gutachten relativ eindeutig negativ. Dennoch ist die Diskussion über die Zukunft der Linie 10 derzeit weiterhin offen. Nach Beschluss der Region, den D-Tunnel endgültig »ad acta« zu legen, wird derzeit ein weiteres Gutachten zum möglichen Niederflurbetrieb auf der Linie 10 erstellt. Im Januar 2011 erhofft man sich an der Leine etwas mehr Klarheit über die Zukunft der beiden Linien 10 und 11. Mit dem oberirdischen Hochflurstadtbahnbetrieb in der Innenstadt – zumindest unter der Nebenbedingung, dass man hier langfristig keine Hochbahnsteige unterbringen und damit weder Barrierefreiheit noch Befahrbarkeit für die neuen TW3000 realisieren kann – scheint  derzeit nämlich auch keiner richtig zufrieden zu sein.

Reizthema ­Niederflurumstellung

Dagegen kann die Umstellung der Linie 10 zur Niederflurstadtbahn mit einem weiteren großen Pro-Argument aufwarten: Es würden sich so neue Möglichkeiten auftun fahrgaststarke Verkehrsachsen in innenstadtnahen Stadtteilen, wo Hochbahnsteige kaum unterzubringen wären, künftig per Schiene zu erschließen. Doch auch abseits der Linie 10 gibt es Streckenabschnitte, wo Hochbahnsteige schwerlich durchzusetzen sind – allen voran die Haltestellen Niehrschlagstraße und Lindener Marktplatz der Linie 9. Diese liegen wie die Haltestellen in der Limmerstraße in zentraler Lage im Stadtteil Linden, dessen Bevölkerung seine Organisationfähigkeit gegen den Hochbahnsteigbau bereits unter Beweis gestellt hat.

Stuttgart auf der Zielgeraden

Was die konsequente Ausrüstung der Haltestellen mit Hochbahnsteigen angeht, ist Stuttgart zweifelsohne der Musterschüler unter den großen deutschen Hochflurstadtbahnnetzen. Durch Umspurung der vormals meterspurigen Straßenbahnstrecken entstand von 1985 bis 2007 sukzessive ein normalspuriges Stadtbahnnetz. Bei diesem Umbau wurden Hochbahnsteige meist gleich mitgebaut. Haltestellen, an denen dies zunächst unterblieb, hat man – bis auf zwei Ausnahmen – mittlerweile mit Hochbahnsteigen ausgerüstet. Ein aus der sukzessiven Umstellung resultierendes Charakteristikum der Stuttgarter Stadtbahn war der bis 2007 andauernde Mischbetrieb mit den verbliebenen meterspurigen Straßenbahnen, der sich auch durch zahlreiche Haltestellen mit höhengestaffelten Bahnsteigen auszeichnete (niedrig für die Straßenbahn, hoch für die Stadtbahn, auch in Tunnelabschnitten). Die derzeit noch fehlenden Hochbahnsteige Augsburger Platz und Badstraße sind bereits im Bau. An der Haltestelle Augsburger Platz  der Linie U13 kann aus Platzgründen kein Hochbahnsteig entstehen, weshalb dieser Halt einige Meter südlich zum DB-Halt Ebitzweg verlegt werden muss, was aber auch die Umsteigebeziehung zur Eisenbahn verbessert.

Abgesenkter Hochbahnsteig in Cannstatt

Bei der im Zentrum des Stadtteils Bad Cannstatt gelegenen Haltestelle Badstraße dagegen war der Bau von Hochbahnsteigen heiß umkämpft. Hätte man hier keinen Hochbahnsteig bauen dürfen, hätte die Stutt­garter Straßenbahnen AG (SSB) sogar die Stilllegung der dortigen Stadtbahnstrecke zwischen der Abzweigung am Wilhelmsplatz und der Rosensteinbrücke der langfristigen Bedienung einer einzigen Haltestelle ohne Hochbahnsteige vorgezogen. Die U13 hätte dann auf einen Umweg über die Haltestelle Wilhelma ausweichen müssen. Letzten Endes konnte die SSB Ende letzten Jahres die Politik mit ihrem Konzept abgesenkter Hochbahnsteige doch noch überzeugen. Bei abgesenkten Hochbahnsteigen wird die Gleistrasse im Bereich der Hochbahnsteige tiefer gelegt, womit die Bahnsteige weniger hoch und damit stadtbildverträglicher ausfallen. Damit wird bei einer Stadtbahn ein Konzept umgesetzt, das im Straßenbahnbereich zunehmend Verbreitung findet: das »überfahrbare Kap« – allerdings werden die Bahnsteige in Stuttgart nicht vom Individualverkehr befahren. Ab Ende des Jahres werden daher in Stuttgart alle Stadtbahnhaltestellen mit Hoch­bahnsteigen ausgestattet sein, so dass künftig auf eine weitere kostenintensive Instandsetzung der Klapptrittstufen in den Stadtbahnwagen verzichtet werden kann. In Stuttgart wurden seit 1993 alle neu gelieferten Stadtbahnwagen komplett stufenlos ausgeführt. Das gilt auch für die nächste Generation, den Tango. 

Philipp Krammer · wird fortgesetzt

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