Bremens Großraumwagen

Seiten


Richtig ärgerlich waren die hohen Herren geworden, weil Linke-Hofmann – nachdem die Bestellung einer zweiten Serie bei Hansa-Waggon und der Maschinenfabrik Esslingen ruchbar geworden war – mit einer Retourkutsche aufwartete. Wegen Nichtberücksichtigung kam aus Salzgitter die Drohung, künftig sämtliche Verladungen des Unternehmens nicht mehr über die bremischen, sondern über Hamburgs Häfen vorzunehmen. Das war weit weniger bedrohlich, als es klang, ergaben doch Nachforschungen, dass die Firma zu der Zeit schon 90 % ihrer Ausfuhren über den Hafen an der Elbe verlud! Doch der schale Beigeschmack blieb: Erpressen lassen wollte man sich in Bremen nicht, zumal auch sachliche Gründe für die einheimische Waggonbauindustrie sprachen. Mit einem Volumen von über 5 Millionen DM – die ersten Züge waren für 220.000 DM pro Einheit gekauft worden – ging der Auftrag über 22 Großraumzüge an Hansa-Waggonbau in Bremen und die Maschinenfabrik Esslingen. Hansa baute die Wagenkästen für sämtliche Triebwagen und für zehn Beiwagen, die Maschinenfabrik Esslingen fertigte zehn Beiwagenkästen und die Drehgestelle für sämtliche Züge. Die Firma Kiepe aus Düsseldorf war für die technische Gesamtausrüstung zuständig. Das Verhältnis zwischen Bremen und Linke-Hofmann blieb zunächst unterkühlt ...

Gegenüber der ersten Serie unterschieden sich die Fahrzeuge der zweiten Serie erheblich. Die Fachwelt sprach von einer »konstruktiven Weiterentwicklung« des Vorgängermodells. Hatte man bei den ersten fünf Triebwagen aufgrund der knappen Versorgungslage noch aufgearbeitete Gebrauchtmotore verwendet, so nutzte man nun Neuanfertigungen. Das Bremssystem war grundlegend überarbeitet und weiterentwickelt worden. Die zweite Serie erhielt drei Bremskreisläufe, wobei die Klotzbremsanlage durch ein Innen­backen­brems­system ersetzt wurde, das auf sämtliche Achsen zugriff. Die Züge waren zudem um fast drei Tonnen je Einheit leichter. Die per Druckluft betätigte Schützensteuerung der ersten Serie hatte sich nicht als optimale Lösung erwiesen. Die Fahrzeuge der zweiten Serie erhielten deshalb einen direkt betätigten elektrischen Fahrschalter, der die ­Einrichtung eines Hilfsfahrschalters im Wagenheck gestattete. Anstelle der druckluftbetätigten Türsteuerung trat eine weiter entwickelte elektrische Variante mit automatischem Klemmschutz.

Die zweite Serie: Gelernt aus der ersten!

Außerdem verzichtete man bei der zweiten Serie auf die dritte Hintertüre und ermöglichte so die Anbringung eines Klappsitzes für behinderte Personen sowie insgesamt günstigere Auffangräume. Die Fußbodenhöhe konnte verringert werden, eine deutlich verbesserte Durchlüftung der Wagen sorgte für weiteren Fahrkomfort. Der Fahrerplatz hatte wesentliche Änderungen erhalten, was sich vor allem in einer ergonomisch optimierten Anordnung der Funktionstasten und -schalter niederschlug. Die Drehgestelle der Maschinenfabrik Esslingen zeichneten sich durch die Neuentwicklung einer innen gelagerten Leichtbautechnik aus, wobei die Achsfederung auch eine stoßfreie Achsführung gewährleistete. Die seitliche Abstützung des Wagenkastens auf den Fahrgestellen erfolgte nicht mehr durch Stützfedertöpfe, sondern durch wartungsfreie Pendelfederstützen. Insgesamt bot die zweite Großraumserie auf dem Entwicklungsstand jener Jahre größtmögliche Sicherheit und Bequemlichkeit. Ein Zug konnte voll besetzt 228 Personen befördern, von denen 53 einen Sitzplatz vorfanden. Doch auch wer stehen musste, profitierte von der neuen Technik und den weiter entwickelten Drehgestellen. Beides sicherte weitgehend ruckfreies Fahrverhalten.

Vor allem mit dieser zweiten Fahrzeuggeneration hatte Bremen einen Wagentyp erhalten, der den ÖPNV noch lange Zeit prägen sollte. Während die letzten Exemplare der ersten Serie 1977 aus dem Dienst verschwanden, gehörten letzte Exemplare der Folgeserie noch bis 1990 zum Bestand. Zwei Garnituren blieben museal erhalten.

Resümee

Oft vergessen wird, dass Bremens erster Gelenkwagen – die Eigenentwicklung eines dreiachsigen Sattelgelenkzuges von BSAG und Hansa-Waggonbau – erst 1955, also nach Eintreffen der zweiten Großraumwagenserie, auf die Gleise kam. Er stellte die moderne Lösung für die Linie 4 dar, von der Großraumwagen vor allem wegen des noch nicht ausreichend aufgeweiteten Schüsselkorbs fernbleiben mussten.

Seiten

Fotos: 
siehe Bildunterschrift
Tags: 
Weitere Themen aus dieser Rubrik

Der Mensch als Fehlerquelle?

"Ich war doch nur ganz kurz abgelenkt“, zitieren zahlreiche Unfallprotokolle in ganz Deutschland die Fahrer von Stadt- und... weiter

Freiburg vor dem Generationswechsel - Gnadenfrist für die letzten sechs GT8K bis 2017

Die VAG in Freiburg bekommt gerade sechs Niederflurwagen von CAF geliefert – trotzdem mustert sie die letzten sechs hochflurigen GT8K nicht aus. Sie m&... weiter

Wirklich sicher?

Hat er seinen Tod fahrlässig in Kaufgenommen? Noch immer ermittelt die Dortmunder Staatsanwaltschaft, wieso am Pfingstwochenende ein 20-Jähriger zwischen zwei als...

weiter

Das könnte Sie auch interessieren