125 Jahre Straßenbahnen in Heidelberg: Nicht totzukriegen

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Grundsatzbeschluss für den Erhalt
1982 sprach sich der Heidelberger Gemeinderat in einem Grundsatzbeschluss eindeutig für den Erhalt und den Ausbau des Straßenbahnnetzes aus. Zu dieser Zeit waren die Wunden, die Stilllegungsmaßnahmen und Fahrplanausdünnungen in der Bürgerschaft und in den politischen Gremien gerissen hatten, immer noch nicht verheilt. In den oberen Etagen von Stadtwerken und Straßenbahn sowie den Arbeitnehmer-Vertretern herrschte alles andere als ein angenehmes Betriebsklima.
Verschärft wurde das, als ein frühzeitig pensionierter Beamter des höheren Polizeidienstes, dem während einer Vernehmung eines Trunkenheitsfahrers die Blutprobe abhanden gekommen war, die Nachfolge für einen altershalber ausgeschiedenen Hauptabteilungsleiter übernahm. Neben der Pension gab es auch noch ein gutes Straßenbahnergehalt. Da der amtierende Stadtwerke- und Straßenbahnchef wenig Neigung zeigte, den gemeinderätlichen Auftrag zur  technischen Sanierung der Straßenbahn zu folgen, was wohl im Sinne des Oberbürgermeisters lag, verlängerte der mittlerweile Grün/Alternativ durchsetzte Aufsichtsrat den Vorstandsvertrag nicht mehr. Das wiederum führte 1991 zum Rücktritt von OB Zundel.

Chaos in der Chefetage
Aber leider wurde es bei seiner pro Straßenbahn eingestellten Nachfolgerin Beate Weber in Personalangelegenheiten nicht ruhiger, drei Straßenbahn-Vorstände mussten in ihrer 15 jährigen Amtszeit hintereinander den Hut nehmen. Aber immerhin waren die »Denkblockaden« aufgelöst, Gleise, Fahrleitungen und Stromversorgung wurden erneuert, Ampelschaltungen für den Vorrang der Straßenbahn optimiert. 1994/95 wurden zwölf neue MGT6D- Niederflurfahrzeuge von DUEWAG/ABB für die Eppelheimer Linie beschafft und 1995 die Strecke von der Blumenthalstraße West durch die Berliner Straße um 950 Meter zum OEG Bahnhof Handschuhsheim verlängert. Noch unter alter Regie kam es 1988 zu den ersten 320 Meter Neubaustrecke seit 1959 zwischen dem Bunsengymnasium und der Blumenthalstraße West.
Dann dauerte es geschlagene elf Jahre, bis die mit einer Stimme Mehrheit vom Gemeinderat beschlossene Neubaustrecke nach Kirchheim in Betrieb gehen konnten. Seit Dezember 2006 nun hat Kirchheim wieder eine Straßenbahnverbindung zum Bismarckplatz, allerdings nicht wie zwischen 1910  und 1972 sehr kurvenreich über Rohrbach an der ehemaligen Waggonfabrik Fuchs vorbei, sondern direkt über den Römerkreisel auf ganz neuer und gestreckter Trasse.
Mit Gründung der RNV 2005 fungiert die in eine GmbH umgewandelte HSB mehr oder weniger nur noch als »Verwaltungsfirma«, hat aber noch die Konzession und Bauherren-/Bestellerfunktionen inne. Lediglich die beiden Standseilbahnen laufen unter ihrer eigenen Regie. Wie bei den anderen Schienennahverkehrsbetrieben in der Kurpfalz auch, sind Fahrzeuge und Personal an die RNV vermietet, übrig bleibt der Einsatz für ein bedarfsgerechtes Angebot, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und die Verteilung von Betriebsdefiziten.
Im Oktober 2010 überraschte die Rhein-Neckar-Zeitung mit der Meldung, dass ein erwarteter Rekordverlust von bis zu 30 Mio.€ für 2010 zum Sparen zwinge. Ein entsprechendes Gutachten über Einsparungsmaßnahmen liegt noch unter Verschluss und sollte Ende November im Verkehrsausschuss der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Kahlschlag aus den 1970er-Jahren nicht wiederholt.
Im April 2009 beschloss der Heidelberger Gemeinderat nach langen Debatten mit der Universitätsverwaltung mit großer Mehrheit die gut drei Kilometer lange Straßenbahnlinie ab 2012 zu realisieren. Die Strecke zweigt an der Haltestelle »Technologiepark« (Blumentalstr. West) ab und führt in einer grossen Schleife am Zoo vorbei zur Haltestelle »Jahnstraße« (Chirurgische Klinik), wo sie auf die Bestandsstrecke trifft. Offen ist, ob die seit über 20 Jahren geplante und von der Universitätsverwaltung immer wieder verhinderte Neubaustrecke durch das Neuenheimer Feld (Uni Campus) wirklich realisiert wird oder den Sparmaßnahmen zum Opfer fällt. Die geradezu hysterische Denkart gegen die Straßenbahn von einst dürfte überwunden sein, aber die neuerlich aufgezogenen Gewitterwolken am Finanzhimmel der HSB müssen sich erst einmal verziehen, um an weiteren Projekten arbeiten zu können, wie die ganz oben auf der Wunschliste der Bürgerschaft stehende Neu-Erschließung der Altstadt mit der Straßenbahn. 

Von Ullrich Müller

Ein Artikel aus STRASSENBAHN MAGAZIN 01/11

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