Wien: Gegen den Trend

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Freilich werfen die Stadtplaner im Zusammenhang mit dieser Neubaustrecke das Argument der Anbindung von Messegelände und Ernst-Happel-Stadion an das U-Bahnnetz in die Waagschale, das nach der Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2008 an Österreich und die Schweiz sehr hoch gewichtet wurde. Dieses Argument kann aber leicht entkräftet werden, denn selbst 10 – 15 jährliche Großveranstaltungen im Stadion und einige größere Messen rechtfertigen wohl kaum einen U-Bahn Betrieb in verhältnismäßig dünn besiedeltes peripheres Gebiet.

U2: Kosten-Nutzen-Desaster

Extra für Veranstaltungen im Stadion entstand auch eine ausschließlich für Betriebsfahrten vorgesehene, 2,2 km lange Verbindung vom Betriebsbahnhof Erdberg zur Haltestelle Stadion, die in einem Tunnel unter den Praterauen verläuft und sich mit mehr als 100 Mio. Euro zu Buche schlug. Dem gegenüber steht der bis zuletzt gut organisierte Stadion- und Messeverkehr mit der Straßenbahn (»Messelinien«, Stadionlinien«) und die Tatsache, dass nach wie vor ein Großteil der Fahrgäste am Praterstern in andere Verkehrsmittel umsteigen wird. Ferner ist zu befürchten, dass der Individualverkehr anlässlich von Messen und Stadionveranstaltungen stark zunehmen wird, da die vom Straßenbahnverkehr »befreiten« Verkehrsflächen nun voll und ganz den Autofahrern zur Verfügung stehen. Dafür spricht jedenfalls der bekannte Leitspruch von Verkehrsexperten, wonach neue Verkehrsflächen auch neue Verkehre anziehen. An ihrem Ziel finden die Autofahrer neuerdings auch riesige Parkhäuser vor, die erst in den vergangenen Jahren im Zuge des U-Bahn-Baues errichtet wurden. Auch die in Bau befindliche Verlängerung zur Aspernstraße jenseits der Donau (Eröffnung 2010) und die in Aussicht gestellte Bautätigkeit entlang der Strecke lassen keine Auslastung erwarten, die aktuellen wirtschaftlichen Gesichtspunkten entsprechen würden.

Kein Geld für die Straßenbahn

Zu allem Überfluss einigten sich der Bund und das Land Wien im Sommer 2007 auf die Finanzierung der 4. Ausbaustufe, die von den beiden Körperschaften wiederum zu gleichen Teilen getragen wird. Für insgesamt 1,85 Mrd. Euro sollen die U1 nach Rothneusiedl (bis 2015) und die U2 in die Stadterweiterungsgebieten am ehemaligen Flugfeld Aspern (bis 2013) und bei der Gudrunstraße (»St. Marx-Eurogate« und »Hauptbahnhof«, bis 2019) verlängert werden. Hier wird die U-Bahn von den Stadtplanern gezielt als Motor zur rascheren Entwicklung der geplanten Stadtteile verwendet und im Falle der U1 sind wiederum Verschlechterungen im Oberflächenverkehr wegen der zu erwartenden Einstellung der Straßenbahnlinie 67 zu befürchten.

Jedenfalls könnte man mit dem Finanzierungsanteil des Landes Wien an der vierten Ausbaustufe des U-Bahn-Netzes (50 Prozent des Gesamtvolumens oder
925 Mio. Euro) sämtliche Straßenbahnneubaustrecken bauen, die im »Masterplan Verkehr 2003« enthalten sind (rund 28 km, siehe S. 19) und teilweise schon viele Jahre vorher zum Bau empfohlen wurden. Realistische Chancen auf eine Verwirklichung bis etwa 2011 hat aber nur ein Projekt im Bezirk Donaustadt, das eine Neubaustrecke vom Kagraner Platz nach Hirschstetten (Linie 26) vorsieht. Die Strecke Kagran – Aspern soll dann von einer ab Floridsdorf verkehrenden Linie 25 bedient werden, deren Linienführung im Bereich Kagran durch eine Umlegung der Gleise in die Tokiostraße und die Donaustadtstraße (statt Wagramer Straße) abgeändert wird. In beiden Fällen soll 2008 mit den Detailplanungen begonnen werden.

Wirtschaftlich sinnvoll, politisch unerwünscht

Darüber hinaus ließen sich mit dem Geld für den U-Bahn Bau auch noch Projekte finanzieren, deren Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit ebenfalls bereits seit Jahren durch entsprechende Studien belegt ist, die aber im 2003 von den Verkehrsplanern der Stadt Wien vorgelegten Masterplan gar nicht enthalten sind. Es handelt sich dabei unter anderem um die Wiedereinführung der 1961 auf Autobusbetrieb umgestellten Straßenbahnlinie 13 (Südbahnhof – Alser Straße), die wichtige Verbindungen innerhalb der Innenbezirke bietet und in Spitzenzeiten mit 20 Bussen im 3-Minuten-Intervall betrieben wird. Eine von der Technischen Universität Wien erstellte Studie kommt dabei zur Erkenntnis, dass sich eine Umstellung der Linie 13A auf Straßenbahnbetrieb wegen der geringeren Betriebskosten (weniger Personal und Fuhrpark wegen größerer Einheiten, elektrischer Betrieb, längere Einsatzzeit von Straßenbahnen) und dem großen Nutzen (größere Akzeptanz bei den Fahrgästen, bauliche Abgrenzung vom Individualverkehr, höhere Geschwindigkeiten) bereits nach wenigen Betriebsjahren komplett amortisiert hätte.

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