Hamburg: Stationen einer Stilllegung

Hamburg: 30 Jahre ohne Straßenbahn. Die entscheidenden Weichenstellungen in der Entwicklung eines der größten deutschen Straßenbahnbetriebe im historischen Kontext, Teil 1 Text: Frank Muth

 
Hamburg war und ist ein Stadtstaat. Das ursprüngliche Hamburger Staatsgebiet erstreckte sich von der Elbe entlang des schmalen Alsterstroms handtuchartig weit nach Norden. Nicht weit im Westen lag die Ha­fenstadt Altona, im Osten die Stadt Wands­bek und im Süden das jahrhun­der­te­lang hannoversche Harburg. Das wurde mit der Verstädterung in der sogenannten Gründerzeit (ab 1871) zum Problem. Funktionierten im Alltag die vier Städte bald als ein einheitlicher Ballungsraum, blieben sie staatspolitisch weiterhin geteilt. Folglich trafen die wichtigen Entscheidungen über diese Region weiterhin verschiedene Stellen mit völlig unterschied­lichen Machtinteressen und richteten damit teilweise auch nicht wieder gut zu machen­der Schaden an. Eingemeindungsbemü­hungen gab es ge­nü­gend – aber auch Nachbar Preußen hätte sich eben gern das reiche Hamburg einverleibt. 

Ohne Aussicht auf Einigung begann ein Stellvertreterkrieg um die im 19. Jahrhundert reichlich hinzuziehende Landbevölkerung. Denn Neubürger waren (und sind) Steuerzahler! »Schlechterdings« in­teressierten sich die potentiellen Neu­bürger aber nur dafür, dass sie eine nette Wohnung oder Behausung fanden und nicht welches Finanzamt für sie zuständig war. 

Während Altona und Wandsbek reichlich neue Siedlungsgebiete ausweisen konnten, fehlte es Hamburg an geeigneten zentralen Flächen. Seine zentrumsfernen Flächenreserven im Norden waren im Vergleich dazu selbst bei wohlwollendster Betrachtung nicht mit dem heute in Immobilienan­zei­gen so wichtigen (weil teuer zu bezah­len­den) Attribut »verkehrsgünstig« zu beschreiben. 

Mit schnellen Bahnen Steuerzahler gewinnen

Die Erschließung dieser Flächen war mithin das Hauptziel des Hamburger Senats –dafür war die Pferdebahn aber definitiv nicht geeignet. Schon 1883 hatte das preußische Altona mit der Blankeneser Eisenbahn vorexerziert, wie man (begüterte) Neubürger mit einer schnellen Verkehrsanbindung locken konnte. Die damaligen Elbdörfer entwickelten sich zu den bis heute wohlhabendsten Hamburger Stadtteilen. 

Ebenso ging es im  1924 von dieser inzwischen zur S-Bahn gewordenen Bahn erschlossenen preußischen Alstertal.  Auch andere Großstädte setzten um 1890 bereits auf die Eisenbahn zur innerstädtischen Verkehrserschließung.

Zum Ausbau seiner bis dahin eher provinziellen Eisenbahnanlagen ließ der Senat schon 1893 auch ein zusammenhängendes Netz mit einem Ring für eine Vororteisenbahn planen. Es ist der historische Unglücksfall in der Hamburger Verkehrsge­schichte, dass die preußische Staatsbahn sich an dieser besseren innerham­bur­gi­schen Erschließung mit Eisenbahnen nicht weiter beteiligen wollte (oder durfte). 

Mit dem Bau der elektrischen Stadt- und Vorortbahn verhalf sie ihrer Blankeneser Stre­cke zu einem direkten Anschluss an den Hamburger Hauptbahnhof. Deren Weiterbau bis Ohlsdorf brachte ihr einen eigenen Anschluss von Wandsbek (von der Lübeck-Büchener-Eisenbahn erschlossen) sowie die Perspektive einer Bahnstrecke direkt nach Norden und Betriebsanlagen in Ohlsdorf .

Hamburg sucht die ­Superbahn

In der Folge war Hamburg gezwungen, für den Bau der übrigen Strecken des einheitlich ge­dachten Schnellbahn­net­zes eine andere Lösung zu finden. Die daraus entstehende rund 70 Jahre lange Konkurrenz zwi­schen U- und S-Bahn brachte Gene­rationen von Fahrgästen alltägliche Nach­teile. Die teils »vergessene« Verknüpfung der beiden Bahnsys­teme wird sich auch in den nächsten 50 Jah­ren kaum beheben lassen. 

1901 war die Debatte um das (restliche) Vorortbahnnetz noch in vollem Gange. Die Straßenbahn hatte die Elektrifizierung bis 1899 abgeschlossen. Nun bot die größte Straßenbahngesellschaft (Straßeneisen­bahngesellschaft, SEG) dem Hamburger Staat den Bau einer U-Straßenbahn nach Bostoner Vorbild als innovative Lösung an. »Halber Kram« soll Bürgermeister Mönckeberg dazu gegrummelt haben. Aber Straßenbahnen galten in jenen Jahren mit ihrer Höchstgeschwindigkeit von vielleicht 18 km/h als zu langsam, um weit außen liegende Gebiete attraktiv anzubinden. 

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