Haben die Kleinbetriebe im Osten eine Zukunft?

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Elektrisch durch die kleine Stadt
Viele weitere deutsche Klein- und Mittelstädte hatten damals bereits die Elektrische eingeführt. Auch diese Anlagen unterschieden sich fundamental von Großstadtstraßenbahnen. Die Strecken waren häufig eingleisig mit Ausweichen trassiert, es verkehrten kleine Zweiachser zumeist ohne Beiwagen, und an den Endstellen waren keine Schleifen angelegt, sondern der Fahrer wechselte lediglich den Führerstand. Lichtsignale waren die Ausnahme, und die wenigen Weichen wurden per Hand gestellt. Fahrttempo und Haltestellenabfertigung gestalteten sich gemütlich, der Fahrgastansturm hielt sich in Grenzen.

Ab Mitte der 1930er-Jahre standen funktionsfähige Diesel- bzw. Obusse zur Verfügung, die die kleinen Triebwagen ersetzen konnten. Bei der Umstellung auf Obusbetrieb konnten sogar ortsfeste Anlagen wie Kraftwerke und Fahrleitungsmasten übernommen werden. Verträumte Provinzstädte versprachen sich vom Verkehrsträgerwechsel zudem ein fortschrittliches Renommee. Während der NS-Zeit wurden die Kleinbetriebe Bad Homburg, Eberswalde, Esslingen (Stadt), Guben, Kaiserslautern, Köslin, Pirmasens, Schleswig, Schwetzingen – Ketsch und Weimar auf »Gummi« umgestellt. Weitere Kleinbetriebe fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer: Nach schweren Kriegszerstörungen wurde in Hanau, Hildesheim (Stadt), Landshut am Lech, Meißen und Warnemünde auf eine Wiederinbetriebnahme der elektrischen Straßenbahn verzichtet.

In der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland nahm die Zahl der Automobile rasant zu. Zählte man 1950 etwa eine halbe Million Pkw, so waren es zehn Jahre später bereits vier Mio. und Ende der 1960er-Jahre 13 Mio. Pkw. Auch wurden nun preisgünstige und fassungsstarke Dieselbusse und Obusse mit selbsttragender Karosserie in hohen Stückzahlen produziert. In zahlreichen Städten unter 100.000 Einwohnern fiel die Entscheidung daher zugunsten einer Stilllegung der Straßenbahn, die als veraltet und verkehrsbehindernd eingestuft wurde.

Die letzten im Westen
In Koblenz fuhr noch bis 1967 die letzte klassische Stadtstraßenbahn: kleine Altbautriebwagen mit Stangenstromabnehmern in engen und kurvigen Straßen z.T. auf eingleisiger Strecke. Letzte klassische Überlandtram war die 1978 auf Bus umgestellte Straßenbahn Esslingen – Nellingen – Denkendorf (END). Schwere Vierachs-Triebwagen mit einem oder zwei Beiwagen erklommen nach Verlassen der Esslinger Innenstadt den Zollberg und fuhren weiter über die Fildern. Mit Reutlingen (1974) und Neunkirchen im Saarland (1978) verschwanden die letzten weiteren Straßenbahnbetriebe in bundesdeutschen Klein- und Mittelstädten. Damit ging im Westen eine Ära zu Ende.

In der DDR unentbehrlich
In der DDR hielten sich Straßenbahnen in Klein- und Mittelstädten wesentlich länger, und viele von ihnen überlebten die Wiedervereinigung. Die Zahl der Pkw war in der DDR wesentlich geringer als in der Bundesrepublik: Entfielen dort 1985 auf 1.000 Einwohner 199 Pkw, waren es in der Bundesrepublik 428. Auch die DDR-Regierung verfolgte eine zunehmende individuelle Motorisierung der ­Bevölkerung. Wurde die Fertigung von Konsumgütern in den 1970er-Jahren auch angekurbelt, standen einer Massenmotorisierung dennoch viele Hindernisse entgegen: begrenzte Kapazitäten der Automobilindustrie und damit lange Wartezeiten, hohe Verkaufspreise im Vergleich zum Durchschnittseinkommen, der Zwang zur Einsparung von mit Devisen bezahlten Treibstoffen sowie ein unzureichendes Straßennetz.

Elektrische Verkehrsmittel wurden von der DDR-Verkehrspolitik gefördert und ab Ende der 1970er-Jahre tatkräftig ausgebaut. Nur vergleichsweise wenige Trambetriebe wurden stillgelegt. Diese Betriebe waren ungünstig trassiert und gering frequentiert.

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