Es lebe der Kreisverkehr!

Die „Ille“ oder „Wilde Zicke“, wie die Straßenbahn bei den Einheimischen heißt, beging vom 19. bis 21. September das 100. Jubiläum des Ringschlusses über den Moritzberg zum Hauptbahnhof. Zwar ist der Ring seit 1991 unterbrochen – gefeierte wurde trotzdem.
 

Neben den Straßenbahnen in Woltersdorf und Bad Schandau gibt es seit 2007 einen dritten deutschen Betrieb, bei dem klassische Zweiachser als tägliches Verkehrsmittel im Liniendienst stehen. Dafür legten die Nahverkehrsfreunde einen mühevollen Weg zurück. Es dauerte einige Zeit bis das Land Sachsen-Anhalt sowie die Stadt Naumburg Zuschüsse freigab, die die die finanzielle Grundlage des täglichen Betriebs bilden.

Unzählige Stunden investierten Vereinsmitglieder in Wagen und Strecke. Viele der in Naumburg vorhandenen Gothaund Reko-Zweiachser stammen aus dem nahegelegenen Jena. Dort verkehrten sie noch bis um die Jahrtausendwende regulär. Zusammen mit der Stadt Naumburg gelang es, die Infrastruktur abschnittsweise zu erneuern. eine Grundvoraussetzung des heutigen Linienbetriebes.

Weitere finanzielle Unterstützung hat das Land bis 2027 in Aussicht gestellt. Im Oktober erteilte es neben dem Betriebskostenzuschuss an die Betreiber-GmbH dem Traditionspflegeverein „Nahverkehrsfreunde Naumburg-Jena e. V.“ einen Förderbescheid über 53.540 Euro. Er dient zweckgebunden der Fertigstellung des langjährigen Restaurationsprojekts „Triebwagen 17“. 2015 soll der älteste Triebwagen der Flotte nach über 20 Jahren einsatzbereit sein.
 

Festwochenende mit Pferdebahn

Die Straßenbahn in Naumburg ist zwar schon 122 Jahre alt, der Ringschluss fand jedoch erst 1914 zu Ostern statt. An dieses Jubiläum erinnerten die Naumburger vom 19. bis 21. September mit einem zünftigen Fest und einer Ausstellung sowie Modellbahnschau im Depot. Während sonst Solowagen den Verkehr abwickeln, kam zum Jubiläum der rot/creme lackierte Reko-Beiwagen 19 im Abschnitt Hauptbahnhof – Theaterplatz zum Einsatz. Außerdem fuhren ergänzend zum verstärkten Fahrbetrieb der Straßenbahn Oldtimerbusse durch die Stadt. Zudem pendelte der 1894/1906 für Neuchâtel gebaute Pferdebahnwagen 133 mit „zwei Pferdestärken“ zwischen Vogelwiese und Theaterplatz.

Blick in die Geschichte

Am 15. September 1892 ging zwischen Hauptbahnhof und „Schwarzes Roß“ (heute Haltestelle „Vogelwiese“) eine dampfbetriebene Straßenbahn mit einer Spurweite von 1.000 Millimeter in Betrieb, um den weit vom Stadtzentrum entfernten Bahnhof besser anzubinden. Die Strecke hatte eine Länge von etwa drei Kilometern. Der leichte Gleisoberbau verursachte starkes Hin- und Herschaukeln der Wagen – die Naumburger fanden dafür den Titel „Wilde Zicke“.

Im Oktober 1906 endete Dampfstraßenbahnbetrieb. Parallel zur Elektrifizierung verlängerte das Verkehrsunternehmen zugleich die Strecke vom „Schwarzen Roß“ bis zum „Salztor“. Der Inbetriebnahme am 2. Januar 1907 folgte im anschließenden Jahr die Erweiterung bis zur Michaelisstraße und bis 1914 über den Moritzberg bis zum Hauptbahnhof. Damit war der Ring geschlossen! Dieser „Straßenbahn-Kreisverkehr“ besaß eine Gesamtlänge von 5,3 Kilometern. Im täglichen Einsatz standen darauf bis zu sechs Wagen.

Es existierten die fünf Ausweichstellen Hauptbahnhof, Jägerplatz, Markt, Salztor und Moritzplatz. Ab Ende der 1950er-Jahre ersetzten auf 1.000 Millimeter Spurweite umgebaute ehemalige Leipziger Aufbauwagen den verschlissenen originalen Wagenpark. Gebrauchte „Lindner“- Wagen aus Halle ersetzten ihrerseits ab 1971 die Leipziger Fahrzeuge. Ab 1980 verdrängten „LOWAS“ und „Gothas“ aus Plauen und Nordhausen sukzessive die letzten Vorkriegswagen.
 

Streckenverlegung und Stilllegung

Am 12. April 1976 befuhren zum letzten Mal Straßenbahnwagen die Strecke Gartenstraße – Lindenring – Markt – Platz der Einheit. Im Stadtzentrum entstand eine Fußgängerzone. Die Ringstrecke war fortan unterbrochen. Die Straßenbahnwagen fuhren nur im Pendelverkehr vom Lindenring über Hauptbahnhof zum Platz der Einheit.

Im Sommer 1981 begannen die Bauarbeiten für einen neuen Ringschluss am Marienring, den die Wagen ab 30. Dezember 1981 nutzten. Gleichzeitig entstand die neue Haltestelle Marientor. Aber am 18. August 1991 verkehrte die Straßenbahn zum letzten Mal als Ringbahn, anschließend ruhte der Betrieb. Im Jahre 1994 übernahm eine neu gegründete Straßenbahn GmbH von der Stadt Naumburg alle Anlagen und Fahrzeuge.

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