"Einer für alle" – der Flexity Berlin

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Angetrieben wird das Fahrzeug über vierpolige wassergekühlte Asynchronmotoren Typ DKWBZ 1606-4 mit je 50 kW Nennleistung bei 2654 min-1, geliefert von VEM Dresden. Die Kraftübertragung zum Rad erfolgt über ein zweistufiges Vorgelege (i = 8,73) und eine Stahlmembrankupplung. Jedes Rad der Triebfahrwerke ist einzeln angetrieben. Die Fahrzeugsteuerung und die Bordnetzversorgung basiert auf den MITRAC-Bauelementen von Bombardier Mannheim. Ein Wechselrichter speist die jeweils auf einer Seite gelegenen Räder eines Fahrwerks; je Fahrwerk sind die Wechselrichter in einem Container zusammengefasst. Die Fahrzeugausrüstung ist für eine Fahrdrahtnennspannung von 750 Volt ausgelegt, so dass nach Aussonderung der letzten Tatra-Züge ein Anheben der Spannung im Berliner Netz möglich wird. Die ersten Reaktionen von Fahrgästen und Fachwelt anlässlich der Präsentation der ersten beiden Fahrzeuge im Herbst 2008 waren durchweg positiv und zeigen, dass in enger Abstimmung zwischen Betreiber, Hersteller, Personal- und Kundenvertretern ein Fahrzeugkonzept entstehen kann, das die vielfältigen und teils widersprüchlichen Anforderungen an den »Gegenstand öffentlichen Interesses« Straßenbahn in gelungener Weise vereint.

Mehr Fußfreiheit

Auf Fahrgastseite positiv bewertet wurde unter anderem die gegenüber den GT6N verbesserte Fußfreiheit bei Nutzung der Sitzplätze im Bereich der Fahrwerke. Das Fahrverhalten (insbesondere das ruckfreie Anhalten) und die Geräuschentwicklung der Wagen werden von Personal und Fahrgästen als sehr gut bewertet, wobei die Fahreigenschaften in Kurven bei einem Multigelenkfahrzeug systembedingt ihre Grenzen finden. Die ausgeklügelte Fahrwerksanlenkung kompensiert hier aber vieles; auch die geringen Massenträgheiten der vergleichsweise kurzen freischwebenden Module im Gegensatz zu längeren Ausführungen tragen bei, dass auch die Kurvenfahrt des Wagens positiv wahrgenommen wird. Als verbesserungswürdig gelten unter anderem die Anzahl und Anordnung der Haltestangen bzw. -griffe sowie die Einbauhöhe des Fahrscheinautomaten. Auch bei den Multifunktionsbereichen werden noch Optimierungsmöglichkeiten gesehen. Das Medieninteresse auf Anlieferung und die Präsentation der Fahrzeuge wie auch die allgemeine Resonanz in der ­Bevölkerung stellten übrigens einen angenehmen Kontrast dar zu kurz zuvor kampagnenartig daherkommenden Schlagzeilen einschlägiger Presseprodukte über »Todestrams« nach einigen bedauerlichen Verkehrsunfällen.

Resümee und Ausblick

Natürlich bietet die »Marktmacht« eines großen Bestellers wie der BVG gute Voraussetzungen, um bestimmte Vorstellungen zu verwirklichen, die sich kleineren Betrieben in dieser Form nicht bieten. Auf der anderen Seite muss anerkannt werden, dass der Hersteller bei der festen Bestellung von zunächst nur vier Fahrzeugen ein außerordentliches Risiko bei den Einmalkosten eingegangen ist, das nun mit dem angekündigten Serienabruf honoriert werden wird. Ebenso bleibt zu hoffen, dass aus der hier praktizierten engen Zusammenarbeit zwischen Besteller und Lieferanten Impulse für eine weitergehende Standardisierung von Komponenten entstehen, die zu einer mittelfristigen Senkung der Fahrzeugstückpreise führen. Selbige sind derzeit noch durch einen hohen Engineering-Aufwand und damit beträchtlichen Anteil von Einmalkosten für jede neue Bestellung eines Verkehrsbetriebes geprägt. Dem Ruf der Straßenbahn als »teuer« könnte so abgeholfen werden.

Serienbestellung steht bevor

Laut jüngsten Meldungen wird für Ende April 2009 mit der verbindlichen Bestellung einer ersten Serie von 140 Wagen aus der Option über insgesamt 206 Fahrzeuge zur Lieferung ab 2011 gerechnet. Diese Wagen benötigt die BVG zur Ablösung der noch vorhandenen modernisierten Tatra-Gelenkwagen bis zum Jahr 2020. Zusammen mit den vier Vorserienwagen und den GT6N umfasst der Wagenpark dann rund 290 kompplett niederflurige Straßenbahnen. Die verbleibende Option ist für den Bedarf aus künftigen Netzerweiterungen vorgesehen. Die ersten der ab 1994 im Einsatz befindlichen GT6N sind inzwischen zur zweiten Hauptuntersuchung fällig. Aufgrund der schwierig werdenden Beschaf­fung einer Reihe von Ersatz- und Verschleißteilen (»Obsoleszenz«) wird damit eine umfassende Ertüchtigung verbunden, was den Austausch einiger Baugruppen, insbesondere in der Fahrzeugsteuerung und der Leistungselektronik, zum Inhalt hat. Ebenso soll der unter den speziellen Bedingungen des Ballungsraumes Berlin besonders leidende Innenraum aufgefrischt werden.   

Ivo Köhler­

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