Das »Stilllegungs­gespenst« geht um

Im Straßenbahnnetz von Mülheim an der Ruhr ­drohen Strecken-Stilllegungen. Nachdem sich die Pläne noch im Januar auf die Strecken zum ­Uhlenhorst und Flughafen bezogen, steht jetzt das ganze Netz zur Diskussion – Ende ­offen. Von Philipp Krammer
 
Als Fußballfan kann man schon nervös werden, wenn in der Stadt des Lieblingsvereins das »Abstiegsgespenst« umgeht. Was gemeint ist, ist klar: Der Verein steht auf oder verdächtig nah an den Abstiegsplätzen und das drohende Szenario einer Deklassierung in die nächst niedrigere Spielklasse wird zunehmend wahrscheinlicher.
Gefühlsmäßig ähnlich kann es derzeit Straßenbahnenthusiasten in Mülheim an der Ruhr gehen. Dort droht zwar nicht der Abstieg des lokalen Fußballvereins – dieser stand zumindest bei Redaktionsschluss relativ sicher im Mittelfeld der NRW-Liga, sondern die Stilllegung von Teilen des ­lokalen Straßenbahnnetzes. Das »Stilllegungsgespenst« geht um!
Anlass für die Stilllegungsdiskussion in Mülheim war – wie so oft – der Spardruck der Kommune. Dieser ist das hohe Defizit der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (ca. 27 Mio. Euro pro Jahr) seit Langem ein Dorn im Auge. So findet sich in einer Verwaltungsvorlage zum Mülheimer Ausschuss für Wirtschaft, Stadtentwicklung und Mobilität vom 8. November 2010 zur geplanten Umstrukturierung des Busnetzes folgender Passus wieder: »Der vorliegende Bericht enthält Maßnahmenvorschläge für den Verkehrsträger Bus. Die Möglichkeiten von Einsparungen durch eine Aufgabe des Meterspurschienennetzes und Aufbau eines gleichwertigen Busangebots wird derzeit durch einen externen Berater gesondert untersucht.«
Für den mit den Mülheimer Verhältnissen wenig vertrauten Leser sei an dieser Stelle gesagt, dass vier Linien des aus sechs Linien bestehenden Mülheimer Stadt- und Straßenbahnnetz dem Meterspurnetz angehören. Darunter fällt das auch in der Innenstadt oberirdisch geführte Teilnetz aus den Linien 104 (Flughafen – Essen Abzweig Aktienstraße), 110 (Hauptfriedhof – Friesenstraße) und 112 (Kaiserplatz – Oberhausen Neumarkt) sowie die in der Innenstadt unterirdisch verkehrende Linie 102 (Uhlenhorst–Oberdümpten).
Auf Normalspur dagegen verkehren nur die Linien 901 (Hauptbahnhof – Duisburg Obermarxloh) und U18 (Hauptbahnhof – Essen Karlsplatz), die beide ebenfalls im Zentrum unterirdisch geführt werden. Eine komplette Aufgabe des Meterspurnetzes würde auch die Isolierung der 1996 wieder eingeführten Oberhausener Straßenbahn bedeuten. Sogar ein kurzer Tunnelabschnitt mit dem U-Bahnhof Aktienstraße, der nur von der Linie 102 befahren wird, ist hier auf den Prüfstand gestellt worden.
Aus einer nicht öffentlichen Verwaltungsvorlage der MVG ist dann im Dezember über die Presse durchgesickert, was die Untersuchung ergeben hatte. Dass dabei »nur« die Straßenbahnabschnitte Heuweg – Uhlenhorst (Linie 102, 1,6 Kilometer, zwei Haltestellen) und Hauptfriedhof – Flughafen (Linie 104, 1,9 Kilometer, vier Haltestellen) als Stilllegungskandidaten gehandelt wurden, kann man vor dem Hintergrund des hier in Frage gestellten Streckennetzes schon fast als gute Nachricht bezeichnen.

Aus für Uhlenhorst und Flughafen?
Maßgeblich für die Auswahl dieser beiden Abschnitte waren neben niedrigen Fahrgastzahlen auch Sanierungsarbeiten, die in den nächsten Jahren anstehen. Als Ersatzkonzept sah die MVG in beiden Fällen einen Pendelbus im 20-Minuten-Takt vor, wobei hier für verkehrsschwache Zeiten durchaus auch in Richtung Anruftaxi gedacht wurde. Für die Strecke Heuweg – Uhlenhorst wird alternativ oder ergänzend auch eine Umleitung der tangentialen Buslinie 134 über Uhlenhorst erwogen.
Proteste gegen die Stilllegungspläne kamen vor allem von Anliegern des Abschnitts zum Uhlenhorst, wo sich neben Anwohnern auch ein an der Strecke liegendes Gymnasium und ein Sportverein beteiligten. Die SPD, die aus der letzten Kommunalwahl mit 43 Prozent Stimmenanteil als stärkste Partei hervorgegangen war, war offenkundig von den gesammelten Unterschriften und aufgebrachten Argumenten überzeugt worden und sprach sich gegen eine Stilllegung zum Uhlenhorst aus.
Etwas geringer scheint sich der Protest entlang der Strecke zum Flughafen zu gestalten. Diese Strecke dient der Anbindung des Stadtteils Raadt (ca. 1.500 Einwohner) an den ÖPNV.

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