"Chruschtschow" und "Hannibal" im Revier

Die Oberhausener Doppelgelenkwagen: Vor 50 Jahren ging der erste ­Gelenk­wagen der Stadtwerke Oberhausen in Betrieb, der auf Basis zweier ­drei-achsiger ­Fahrgestelle ­entwickelt wurde. Die Fahrzeuge dieser sehr außergewöhnlichen Konstruktion prägten in den 1960er-Jahren den Betrieb auf der mit Mülheim an der Ruhr betriebenen ­Gemeinschaftslinie 1. Nach Stilllegung der Oberhausener Straßenbahn fuhren einige der Wagen auch noch in Aachen.
Von Klaus Oehlert-Schellberg

 
Zu Beginn der 1950er-Jahre entwickelte die Düsseldorfer Waggonfabrik (Düwag) die ersten modernen vierachsigen Großraumwagen. Mit dem Wagen 513 erhielt – aus einer Serie von sieben Exemplaren – im Jahre 1951 die Süddeutsche Eisenbahn-Gesellschaft AG (SEG) das erste dieser fortschrittlichen Fahrzeuge für den Einsatz auf dem Meterspurnetz in Essen. (1954 wurde aus der SEG übrigens die Essener Verkehrs AG EVAG.) Da es sich um einen Einrichtungswagen handelte, der an den Endstellen Wendeschleifen oder Gleisdreiecke benötigte, war das Fahrzeug für die Mehrzahl der Verkehrsunternehmen zur damaligen Zeit nur bedingt geeignet. Das galt auch für den ersten sechsachsigen Einrichtungsgelenkwagen, der im Jahre 1956 als Weiterentwicklung auftauchte und erstmals in sechs Exemplaren (Tw 250 – 255) von der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (Bogestra) bestellt wurde. Auf Initiative der Düwag wurde mit dem Tw 250 ein Fahrzeug dieser kleinen Serie von den meisten meterspurigen Verkehrsbetrieben im Ruhrgebiet – teilweise mehrere Wochen lang – ausgiebig getestet. Auch in Oberhausen wurden in den engen und kurvenreichen innerstädtischen Straßen nächtliche Probefahrten mit dem Bogestra-Gelenkwagen 250 durchgeführt. Dabei kam man schnell zu dem Schluss, dass sich das Fahrzeug – ebenso wie der fünf Jahre zuvor bei einer nächtlichen Probefahrt eingesetzte Essener Großraumwagen 513 – nicht besonders für Oberhausens Straßenbahn eignete. 

Nein zu den »Modernen« aus Essen und Bochum

Bei der meistens rechts am Straßenrand verlaufenden Gleislage mit zahlreichen engen Kurvenradien wurden Straßenecken und Bürgersteige mit  Vorder- und Hinterplattform bis zu einem Meter »abgekämmt«. Beim Probeeinsatz mussten zudem zahlreiche Begegnungsverbote be­achtet werden. Letztendlich verfügte das Straßenbahnnetz in Oberhausen mit Ausnahme der großen Innerstadtschleife am Südmarkt und am Hauptbahnhof (für die Mülheimer Linie 15) über keinerlei Wendeschleifen oder zumindest Dreiecke an den Endstellen. Ein Einrichtungstyp kam also für die Neubeschaffung gar nicht in Frage.

Vom Dreiachser zum ­Gelenkwagen

Aufgrund der guten Erfahrungen, welche die Stadtwerke Oberhausen AG (STOAG) mit den ab 1949 von der Kölner Firma Westwaggon gelieferten dreiachsigen Zweirichtungswagen und den baugleichen Beiwagen (Tw 301 – 323 und Bw 406 – 420, siehe Porträt in SM 8/2009) gemacht hatten, setzte man stattdessen hier an: Gemeinsam mit der Kölner Waggonfabrik wurde auf Basis der bewährten Dreiachser ein Gelenkwagen entwickelt. Hier sprach natürlich der bessere Personalwirkungsgrad ein Wort mit, denn für einen Gelenkwagen benötigte man im Gegensatz zu einem Zug mit Trieb- und Beiwagen nur einen Schaffner. Außerdem wollte man sich so an den stumpfen Endstellen das zeitaufwendige Kuppel- und Umfahrmanöver ersparen. Im Jahre 1957 wurde mit einem selbstkonstruierten Gelenkwagenuntergestell auf der Basis zweier dreiachsiger Fahrgestelle zwischen Mitternacht und 3 Uhr morgens mehrfach das gesamte Oberhausener Gleisnetz befahren. Nach Abschluss der Tests im Jahre 1958 wurden zunächst drei sechsachsige Doppelgelenkwagen in Auftrag gegeben, die im Frühjahr des Folgejahres zur Auslieferung kommen sollten. Am 19. März 1959 war es schließlich soweit: Gegen 18 Uhr wurde der erste neue Gelenkwagen mit der Wagennummer 361 auf einem Güterwagen über einen Zechenanschluss am Bottroper Betriebshof der Vestischen Straßenbahnen angeliefert.

»Die Linie 1 fährt wie eine 1«

Nach Einstell-, Probe- und Personalschulungsfahrten wurde der neue Triebwagen 361 der STOAG am 20. Mai 1959 erstmals planmäßig eingesetzt. Die Premiere erfolgte auf der 19,9 km langen Gemeinschaftslinie 1, die zusammen mit den Betrieben der Stadt Mülheim an der Ruhr seit 5. Oktober 1954 auf dem Linienweg von Oberhausen-Holten über Sterkrade, Oberhausen Hbf, Mülheim-Styrum, Mülheim Stadtmitte und Mülheim-Saarn betrieben wurde. Da die Mülheimer Verkehrsbetriebe auf ihren zwei zugeteilten Kursen der Linie 1  damals noch zweiachsige Altbauzüge – zum Teil sogar aus der Vorkriegszeit –einsetzten, waren die Reaktionen der Oberhausener Presse auf das moderne Fahrzeug überschwänglich. Eine Schlagzeile lautete: »Die Linie 1 fährt wie eine 1«.

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siehe Bildunterschrift
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