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Baden-Badens Straßenbahn: stillgelegt vor 60 Jahren

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Eine »Tal-« und eine ­»Berglinie«
Am 24. Januar 1910 wurde die Straßenbahn eröffnet. Die »Tallinie« begann an der Dreieichenkapelle in der Weststadt, fuhr am Stadtbahnhof vorbei durch die enge Langestraße zum Leopoldsplatz, weiter zum Augustaplatz und endete am Brahmsplatz in Lichtental. Ein Betriebsgleis führte 400 Meter weiter zur Wagenhalle. Am Leopoldsplatz zweigte ein kurzes Gleis zur Oosbrücke für die Theaterwagen ab. 1912 folgte die »Berglinie« zum Merkurwald, Talstation der ein Jahr später eröffneten Standseilbahn auf den Merkur. Diese war an Stelle einer schon 1875 geplanten 3,5 Kilometer langen Dampfzahnradbahn gebaut worden, die, ausgehend von der Stadtmitte, nach dem Vorbild der Rigibahn mit Stehkessel-Dampfloks betrieben werden sollte. 1914, wenige Wochen vor Ausbruch des  Ersten Weltkrieges, wurde die »Tiergartenlinie« in Betrieb genommen.

Zwölf Jahre dauerte es, bis endlich 1926 die schon 1909 geplante Verlängerung zum Bahnhof Baden-Oos verwirklicht wurde. Als 1929 noch der kurze Abschnitt von der Wagenhalle nach Oberbeuern in Betrieb ging, war das Netz der Baden-Badener Straßenbahn fertig gestellt.

Die Streckenlänge betrug 11,3 Kilometer eingleisige und 3,2 Kilometer zweigleisige Strecken, versehen mit 1,3 Kilometer Vignol- und 19,4 Kilometer Rillenschienen. Die Haltestelle »Stadtbahnhof« war sogar dreigleisig ausgeführt. Geplante Verlängerungen über Staufenberg nach Gernsbach im Murgtal und von Lichtental nach Geroldsau kamen nicht zur Ausführung.
Fahrgastzahlen von ca. fünf Millionen Personen pro Jahr erforderten einen 7 ½ – 15 Minutenbetrieb auf der Tallinie und einen 15–30 Minutentakt auf der Berg- sowie Tiergartenlinie. Dazu kamen nächtliche Zubringerfahrten zu Schnellzügen in Baden-Oos während der Betriebsruhe der Reichsbahnstrecke. Nach einem schweren Unfall und wegen des schlechten Gleiszustandes wurde die Berglinie ab 1940 bis zur Hardbrücke unterhalb der Friedrichshöhe zurückgezogen.

Hochbetrieb im ­französischen Hauptquartier
Besonderen Belastungen war die Straßenbahn nach Kriegsende ausgesetzt. Die französische Besatzungsmacht hatte Baden-Baden als Hauptquartier bestimmt, sodass sich die Einwohnerzahl, viele Flüchtlinge eingerechnet, in kürzester Zeit fast verdoppelte – mit z.T. unbeschreiblichen Wohnverhältnissen als Folge, wurde doch die französische Cité erst später gebaut.
Für die Straßenbahn bedeutete dies, jährlich 10–14 Millionen Personen mit schlecht unterhaltenem und deshalb reduziertem Wagenpark auf abgefahrenen Gleisen befördern zu müssen. Die Franzosen ließen die Bevölkerung, aus verständlichen und nachvollziehbaren Gründen, ihren Status als Besatzungsmacht deutlich spüren. Auf der Tallinie z.B. war der Triebwagen generell für sie reserviert und fuhr oft fast leer, während sich die deutschen Fahrgäste in die völlig überfüllten Beiwagen drängen mussten.

Die Verhältnisse normalisierten sich nur langsam und es musste bald eine Entscheidung für oder gegen die Straßenbahn getroffen werden. Ihre Beibehaltung hätte bedeutet, das abgefahrene, überwiegend eingleisige, durch die enge Innenstadt oder in Seitenlage am Straßenrand verlegte Gleisnetz völlig und einen Teil des verschlissenen Wagenparks zu erneuern. Man hätte quasi eine neue Straßenbahn aufbauen müssen, eine Situation, die zu dieser Zeit für viele deutsche Straßenbahnbetriebe ebenso zutraf, wo man sich z.T. aber für die Beibehaltung der Straßenbahn entschied.

Ersatz durch Obus
Baden-Baden beschloss den Ersatz durch den Obus. Ob auch das Beispiel oder Vorbild des französischen Nachbarn, wo die Straßenbahn ein Auslaufmodell war, eine Rolle gespielt hat, bleibt dahingestellt. Nur ein Jahr nach der Währungsreform, im Juni 1949, wurde die Linie Baden-Oos – Leopoldsplatz umgestellt, wenige Monate später die Berglinie, 1950 die Strecken nach Lichtental und zum Tiergarten. Für einige ­Wochen pendelte noch ein einziger Triebwagen auf dem 700 Meter langen Abschnitt zwischen der Wagenhalle und Oberbeuern. Am 27. Februar 1951 verkehrte der letzte Straßenbahnwagen.

Der Wagenpark
Zur Eröffnung der Straßenbahn 1910 ­wurden zwölf Triebwagen (Tw 1–12, Lindner/Bergmann, 1909) und sechs Beiwagen (Bw ­21–26, Lindner, 1909 ) beschafft. Die 7,75 Meter langen, zweiachsigen dreifenstrigen Wagen wurden zum Standardmodell – komfortable, elegante, sehr sorgfältig ausgestaltete Fahrzeuge, cremefarben, mit der auch für andere badische Städte typischen seitlichen Holzverkleidung.

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